Politik
Der Niedergang einer Bewegung, die nie eine solche war
Pegida Kassel in der Bedeutungslosigkeit
Kagida-Marsch im Februar (Quelle: Vista Images)
GDN -
Angetreten war Michael Viehmann, Organisator von “Pegida Kassel“ alias “Kagida“ einst, um, wie er es gerne formuliert, die Politik in Kassel neu zu definieren. Erreicht hat er lediglich ein all-montägliches Treffen von Alt- und Neonazis, Hooligans, AfD-Anhängern. Doch damit geht es nun dem Ende zu.
Waren es im Dezember zumindest einmal mehr als 200, die dem Ruf Viehmanns gefolgt waren, hat sich die Teilnehmerzahl bei den letzten Treffen seit Januar im mittleren zweistelligen Bereich eingependelt. Und man merkt, die Luft ist raus aus dem aufgeblasenen Ballon namens “Kagida“. Daran ändert auch die Umbenennung in “Pegida Kassel“ und die verstärkte Suche nach Nähe zum Dresdner Ursprung nichts. Ein deutliches Indiz für den Niedergang der Montagstreffen ist darin zu erkennen, dass selbst die einst massiv aufgetretenen Gegendemonstranten die Lust verloren haben.
Zwar mobilisieren das Kasseler “Bündnis gegen rechts“ und der neuerdings auf der Bühne aufgetauchten “Arbeitskreis Casseler autonomer Berufsdemonstranten“, der “Kagida“ deren gewohnten Kundgebungsplatz streitig gemacht hat, immer noch ein Mehrfaches der Teilnehmer, die auf Seiten der Neurechten auftauchen, doch auch sie haben ihre Zahl inzwischen gedrittelt. Die mit Abstand größte Gruppe montags in der Kasseler Innenstadt stellt inzwischen eindeutig die Polizei, allerdings wohl kaum freiwillig. Dabei gibt es inzwischen weder die anfänglichen Sitzblockaden der Nokagida-Aktivisten noch Übergriffe von Hooligans auf diese, wie sie im Dezember vorgekommen sind.
Zu den Anfangszeiten von “Kagida“ waren unter den Teilnehmern regelmäßig auch Führungskader der hessischen NPD, von Burschenschaften und Neonazis von außerhalb, etwa aus dem Eichsfeld, zu entdecken. Inzwischen begrenzt sich das Teilnehmerfeld auf die einheimischen Rechtsextremisten, wie etwa die von “Sturm 18 Cassel“, ein gefürchtetes Netzwerk schlagkräftiger Neonazis, die sich inzwischen als Verein haben registrieren lassen. Ihr “Präsident“, der mehrfach rechtskräftig verurteilte Bernd Tödter, der derzeit auf freien Fuß ist, wurde zwar bei “Kagida“ noch nicht gesichtet, seine Stellvertreterin Diana W. gehört aber zu den ständigen Teilnehmern und läuft gerne in vorderster Reihe mit. Auch andere einschlägig bekannte Vertreter der extremen Rechten finden sich unter denen, die den harten Kern der Montagsdemonstranten bilden, etwa der frühere NPD-Landtagskandidat David Giesler oder der wie dieser als Ordner tätige Andreas K.-S., der ebenso wie Mike S. und Marcel W. dem wohl inzwischen aufgelösten “Freien Widerstand Kassel“ angehörte.
Die einschlägigen Verbindungen zum rechtextremen Umfeld sind inzwischen wiederholt dokumentiert worden, unter anderem durch eine ausführliche Expertise des MBT Hessen (GDN berichtete). Doch Michael Viehmann will von all dem nichts mitbekommen haben, wie er diesen Montag erneut erklärte. Das ist schon merkwürdig. Entweder ist Herr Viehmann sehr naiv bei der Auswahl seiner (Facebook-)Freunde oder seine Medienkompetenz ist entwicklungsfähig. So ist er mit Andreas K.-S. auf Facebook befreundet; und bei diesem findet sich auf dem ersten Platz seiner Freundesliste der stellvertretende Landesvorsitzende der hessischen NPD, Daniel Lachmann. Das steht weder der Freundschaft zwischen Viehmann und K.-S. noch dem Einsatz des letzteren als Ordner bei “Kagida“ entgegen. Und Diana W. verwendet als Titelbild ihrer Facebook Seite den Slogan “Nationaler Sozialismus ist machbar Herr Nachbar“. Auch das hindert Herrn Viehmann nicht daran, sie bei den so genannten Spaziergängen als Trägerin des “Kagida“-Transparents einzusetzen. Nichts gemerkt? Oder doch eher: Billigend in Kauf genommen.
Diese Annahme passt jedenfalls dazu, dass auch Michael Viehmann dem Gedankengut, das in dieser Szene vorherrscht, durchaus zuzuneigen scheint. Darauf weisen - inzwischen gelöschte - Einträge auf seiner Facebook Seite hin, derer wegen sich nicht nur die hessische AfD bemüht sah, die Verbindung zu kappen. Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft, wie der Hessische Rundfunk heute meldete. “Er (Viehmann) soll“, so der HR, “ unter anderem von »Judenpack« gesprochen haben.“ Und weiter heißt es in der Meldung: “In diesem Zusammenhang soll Viehmann auf seiner Facebook-Seite auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beleidigt haben. Wörtlich hieß es dort nach Angaben der Kasseler Staatsanwaltschaft: »Frau Merkel, man sollte dich steinigen, du Vieh.«"
Dass er aus der AfD ausgetreten ist, hat Michael Viehmann diese Woche selbst auf seiner Facebook Seite öffentlich gemacht, nicht allerdings warum. Das hat die Frankfurter Rundschau dagegen recherchiert. Genau solche Äußerungen waren selbst dem eher auf dem rechten Flügel dieser rechtspopulistischen Partei angesiedelten Landesverband zu viel. Einem möglichen Parteiausschluss ist Viehman so zuvor gekommen und kann sich gleichzeitig empört als verfolgtes Opfer echauffieren: “hiermit trete ich aus der Partei AfD mit sofortiger Wirkung aus. Der Anruf und vor allem der Ton des Herren Dr. Konrad Adam (einer der drei Sprecher des hessischen AfD-Landesvorstands; Anm. des Verfassers) am Montag als er mich anrief, kann ich so nicht hinnehmen. Wenn das die Art und Weise ist mit Mitgliedern umzugehen, kann ich ihnen nur empfehlen, sich mal darüber Gedanken zu machen um evtl. nicht noch mehr Mitglieder zu verlieren.“ So Viehmann in einem, inzwischen ebenfalls gelöschten, Beitrag auf seiner zweiten, öffentlichen Facebook Seite (Rechtschreibung und Interpunktion wie im Original; der Verfasser).
Der bisherige Hauptredner bei den “Kagida“-Kundgebungen, der Sprecher der AfD Kassel, Manfred Mattis, ein Rechtsanwalt aus der nordhessischen Großstadt, hat sich durch seine Auftritte nach Pressemeldungen von FR und HNA beim Landesverband seiner Partei ebenfalls unbeliebt gemacht. Auch Herr Mattis hat übrigens nie etwas davon mitbekommen, dass irgendwelche Nazis an den Veranstaltungen teilgenommen haben, wie er noch vor einer Woche mit Blick auf die MTB-Untersuchung entrüstet erklärte. Vielleicht hätte er doch mal mit der von ihm gerne so titulierten “Lügenpresse“ reden sollen, denn es gibt hinreichend Fotos, die die Richtigkeit der Expertise des MTB belegen. Aktuell hat sich Manfred Mattis als Redner jedenfalls zurückgezogen.
Ganz anders als Victor Seibel, der immer wieder sporadisch auftaucht. Zwar scheint auch er bei seinen früheren Freunden vom “Friedenswinter“ ob seines Pegida-Engagements in Ungnade gefallen zu sein, aber er hat sich längst neu verortet. Der glühende Russland-Fan, auf seinem Facebook Profilbild posiert er in einem T-Shirt mit der Aufschrift “Deutsch russische Bruderschaft Berlin“, hat sich bei “EndGame“ eine neue politische Heimat gesucht. Dieses streng antiamerikanische Auffangbecken der neurechten Querfront und des Hooligan-Bündnisses HoGeSA hatte vor einiger Zeit zu einer Demonstration in Erfurt aufgerufen, wo es zu massiven Übergriffen seitens einiger Teilnehmer kam. In einem der jüngsten Einträge auf Facebook schreibt Seibel: “Revolution ist die einzige Lösung, oder Berlin wird weg gebombt “¦ ich hab kein bock je eine Sekunde länger ist dieser doppelmoral Welt kampflos resigniert zu verbleiben, friedlich“ (Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion wie im Original; der Verfasser). Seine epische Rede, ein Konglomerat von wüsten Drohungen, Verschwörungstheorien und Hetze gegen die USA und die deutsche/europäische Politik bei der jüngsten “Kagida“-Kundgebung hat sogar bei den abgebrühten Teilnehmern, die sonst alles und jeden beklatschen, zu heftiger Unruhe geführt, so dass Seibel seine Ergüsse vorzeitig beenden musste.
Die überregionalen Nazikader kommen nicht mehr, die AfD will nicht mehr, Seibel wollen seine eigenen Leute nicht mehr hören und die Gegendemonstranten machen sich über “Kagida“ und Viehmann lustig, so bewarfen sie den “Spaziergang“ mit Kamellen - es war ja auch Rosenmontag. Da bleibt nicht mehr viel. Michael Viehmann versucht nun, sein Selbstdarstellungsforum zu retten, indem er eine engere Verbindung zum “Mutterhaus Pegida Dresden“ sucht. Dazu war er, wie er auf Facebook ausführlich dokumentiert hat, am letzten Wochenende zum Freundschaftsbesuch bei Hitlerimitator Lutz Bachmann in Sachsen. Mit dabei waren Freundin Nicole-Zvjezdana G., Sängerin der renommierten Kasseler Coverband “Sana“, die bereits zwei Mal, 2009 und 2012, den Deutschen Rock & Pop Preis in der Kategorie “Beste Cover/Revivalband“ gewonnen haben, und Aike V., der regelmäßig bei “Kagida“ in vorderer Reihe zu sehen ist. Mit Nicole G. logierte Viehmann gemeinsam im Hotel “Am Bonhoefferplatz“, bevor beide sich gemeinsam mit Aike V. sowie Lutz Bachmann und dessen Ehefrau Vicky in das örtliche Nachtleben stürzten. Selbstverständlich ließen sie ihre Fans daran teilhaben und posteten ein Foto aus dem Club “Kraftwerk Mitte“. Unter anderem machte sich Tatjana Festerling, erklärter HoGeSA-Fan und ebenfalls Ex-AfD, Sorgen um Lutz Bachmanns “Männergrippe“. Doch Vicky Bachmann erklärte, “Termine sind Termine... Wenn unsere Kass'ler Freunde da sind, muss MANN auch mit Männergrippe durch“¦“ (Rechtschreibung wie im Original; der Verfasser).
Diese neue enge Verbindung Dresden - Kassel will Michael Viehmann also offensichtlich als letzten Notnagel zu Rettung von “Kagida“ nutzen. So war er eingeweiht in Bachmanns “Coup“, der am Montagabend seine Kandidatur als Oberbürgermeisterkandidat ankündigte; zeitgleich machte Viehmann das auch in Kassel öffentlich. Und er kündigte an, Bachmann wolle “demnächst“ als Redner nach Kassel kommen, Ort und Zeit seien noch geheim und würden erst kurz vorher bekannt gegeben, “aus Sicherheitsgründen“, wie Viehmann betonte.
Den Niedergang von Pegida wird das auch nicht verhindern, weder in Dresden noch in Kassel. Die Spaziergänge sind schon jetzt deprimierende Schweigemärsche, die “Wir sind das Volk“-Rufe der Anfangszeit sind dem kleinen Häuflein wohl selbst peinlich geworden, durch menschenleere Straßen. Aufregung gibt es nur bei den Autofahrern und ÖPNV-Kunden, die ob der großräumigen Sperrungen Montag für Montag große Umwege in Kauf nehmen müssen, der Fußgänger, die nicht wissen, wie sie aus der innenstadt zum Hauptbahnhof kommen sollen, und er Geschäftsinhaber auf der Marschroute von “Kagida“. Politik und Medien gehen zur Tagesordnung über, weder DPA noch HR oder andere TV/Rundfunksender interessieren die immer gleichen Reden noch. Auf einem Schild der “Partei“ heißt es: “Ich könnte jetzt so schön auf dem Sofa sitzen.“ Das ist nur noch eine Frage der Zeit.
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