Kultur

Märchenhafte Welt der Brüder Grimm - Jacob und Wilhelm erwarten die Besucher

Die GRIMMWELT Kassel öffnet ihre Pforte


Grimmwelt in Kassel eröffnet am 4. September (Quelle: heldmann.photography)
Wertvolle Handexemplare der Märchen sind zu sehen
(Quelle: heldmann.photography)
GDN - Mit einem modernen, den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm gewidmeten Ausstellungshaus festigt die documenta Stadt Kassel ihre Position als eine der bedeutendsten Kulturstädte Deutschlands. Ab der feierlichen Eröffnung am Freitag, 4. September, ist das Schaffen der Brüder Grimm dort zu sehen.
Schilder leiten die Besucher zur Grimmwelt
Quelle: heldmann.photography
Die Besucherinnen und Besucher erwartet dort die märchenhafte, geheimnisvolle, forschende, aufschlussreiche und poetischen Grimmsche Welt der Sprache und Bedeutungen. In vielen Variationen zeigt die Ausstellung die Vielschichtigkeit ihres Werkes. Modern in der Herangehensweise an ein Thema, das Hergebrachte würdigend - diese Elemente verbinden die heutige GRIMMWELT und das Schaffen der Brüder Grimm im 19. Jahrhundert. Oberbürgermeister Bertram Hilgen: “Die GRIMMWELT Kassel präsentiert das Wirken der Brüder Grimm auf Augenhöhe mit ihrer Bedeutung. Die Grimms sind eine kulturelle Weltmarke, die in Kassel ebenso wie die documenta und das UNESCO-Weltkulturerbe Bergpark Wilhelmshöhe beheimatet ist. Es ist deutlich: Kassel gehört in die Riege der zehn herausragenden Kulturstädte Deutschlands.“
Dorothée Rhiemeier und Kämmerer Christian Geselle
Quelle: heldmann.photography
“Die documenta Stadt Kassel hatte sich zum Ziel gesetzt, das Thema Brüder Grimm angemessen neu aufzustellen - im Hinblick auf die zu vermittelnden Inhalte, die Präsentation, das wissenschaftliche Fundament und die kulturwirtschaftliche Aspekte. Wir dürfen sagen, es ist uns gelungen, Wünsche wahr werden zu lassen. An diesem Ort vereinen sich Kunst, Kultur und Natur in zauberhafter Weise und stärken die kulturelle Strahlkraft unserer Stadt“, so Dorothée Rhiemeier, Kulturamtsleiterin der Stadt Kassel. Susanne Völker, Geschäftsführerin der GRIMMWELT Kassel: “Fast jeder kennt die Brüder Grimm als Märchensammler. Als Sprach- und Kulturforscher und mit ihrem gesellschaftlichen und politischen Engagement haben sie darüber hinaus ein facettenreiches Werk hinterlassen. Aus unserer Kulturgeschichte sind sie heute nicht mehr wegzudenken. Die Besucherinnen und Besucher der GRIMMWELT können sich in zauberhafte Märchenwelten begeben, in die Welt der Sprache eintauchen und anhand wertvoller Objekte, interaktiver Angebote und vielfältiger Kunstwerke die gesamte Bandbreite des Grimmschen Schaffens erleben.“
Stufen zum Dach der Grimmwelt
Quelle: heldmann.photography
Stufen in die Welt der Grimms - “Stufen“ sind ein sowohl inhaltliches als auch in der architektonischen Form bestimmendes Thema des GRIMMWELT: Besucher jeden Alters und mit ganz unterschiedlichen Interessen, Familien mit Kindern, junge Erwachsene, Literaturinteressierte, Kunstkenner, Wissenschaftler, Forscher, Touristen finden hier zeitgemäße Zugänge zu dem Wirken und dem Nachlass der Brüder Grimm, die weit mehr waren als Märchensammler. Als Sprachforscher, als Gelehrte, als Politiker haben sie ihre Zeit, die erste Hälfte der 19. Jahrhunderts, mitgeprägt und den nachfolgenden Generationen ein großes Erbe hinterlassen. Dies zeigt das Ausstellungshaus in Kassel mit multimedialen Elementen, kindgerechten Erlebniszonen, der Präsentation wertvoller Exponate aus den Kasseler Grimmbeständen - darunter das UNESCO- Weltdokumentenerbe, die Original Handexemplare der Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm -, und ideenreichen Annäherungen an die Gedanken- und Wissenswelt der Sprachgelehrten. In der documenta Stadt Kassel ist die GRIMMWELT in nur zwei Jahren Bauzeit auf dem Kasseler Weinberg inmitten einer Gartendenkmals entstanden. “Die kurze Bauzeit von nur zwei Jahren ist außergewöhnlich für ein Gebäude dieses Anspruchs. Dank der Kompetenz und des hohen Engagements aller an der Entstehung Beteiligter konnte die GRIMMWELT nicht nur in kurzer Zeit, sondern auch innerhalb des vorgesehenen Kostenrahmens von 20 Millionen Euro realisiert werden. Dafür danke ich allen Beteiligten. Es ist ein besonderes Haus entstanden, das zu entdecken sich lohnt“, sagte Stadtbaurat Christof Nolda.
Das Gebäude liegt in einer Parklandschaft
Quelle: heldmann.photography
Die GRIMMWELT Kassel liegt an der südlichen Kante des Weinbergs inmitten einer denkmalgeschützten, reizvollen Parklandschaft. Terrassen, alte steinerne Treppenanlagen und Mauerfragmente prägen die besondere Atmosphäre des Ortes. Das Ausstellungshaus und die umgebende terrassierte Parklandschaft verschmelzen durch Bauweise und Farbgestaltung zu einem Ganzen. Die spektakuläre Treppenarchitektur des renommierten Aachener Architekturbüros kadawittfeldarchitektur setzt sich im Inneren mit Split-Level-Ebenen fort. Mittelpunkt der Grimmwelt ist der zentrale Auftaktraum, von dem aus sich die einzelnen Ebenen mit ihren unterschiedlichen Themenschwerpunkten erwandern und erforschen lassen. “Das neue Ausstellungshaus führt die Topographie des Geländes als begehbare Skulptur fort und bereichert den Park mit einer öffentlich zugänglichen Treppenanlage, die ihren Abschluss in einer Dachterrasse mit Ausblick in die Umgebung findet. Der Besucher erfährt einen Ort der Zwischentöne schafft und sich der Komplexität der deutschen Sprachwissenschaft und der bedeutenden Grimmschen Märchensammlung widmet“, so Gerhard Wittfeld, von dem für die Architektur zuständigen Büro kadawittfeldarchitektur.
Moderne Präsentation des Grimmschen Schaffens
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Eine Expedition in die Welt der Grimms: Die Ausstellungsgestaltung von Holzer Kobler Architekturen unternimmt eine Expedition in neue Gestaltungs- und Wissenswelten, die die Besucher in ihren Bann ziehen und faszinieren wird. Analog der Arbeitsweise von Wilhelm und Jacob Grimm wurde aus vielfältigen Fragmenten eine Gesamtkomposition zusammengefügt. “Der Betrachter wird auf diese Weise zu einem Teil der Installation: In seinem Kopf setzen sich die einzelnen Komponenten des Gesehenen neu zu einer fabelhaften Totale zusammen. Das gestalterische System aus papierartigen Wandscheiben vermag die ambivalenten Eigenarten der beiden Grimmschen Hauptwerke - des sehr strukturierten Wörterbuchs und der fantasievollen Märchen - einnehmend darzustellen“, so Simone Haar, Geschäftsführerin von Holzer Kobler Architekturen. Kassel steht für ein mehrstufiges Grimmkonzept Die GRIMMWELT Kassel ist nicht der einzige Ort, an dem das Thema vertreten ist. Kassel, das ein zentraler Lebens- und Arbeitsort von Jacob und Wilhelm Grimm war, an dem sie unter anderem mit der Arbeit am Deutschen Wörterbuch begannen, verfolgt ein dezentrales Grimmkonzept: An der Universität Kassel, die eine Grimmprofessur hat, wird geforscht; die der Universität angeschlossene Murhardtsche Landesbibliothek betreut den Buchbestand, der weltweit digital einsehbar ist; die Stadt Kassel bewahrt das Erbe der großen Forscher und Gelehrten. Die GRIMMWELT Kassel ist der neue und moderne Ort für die Präsentation und Vermittlung des vielfältigen Grimmschen Schaffens.
Alle Sinne werden angesprochen
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Die Konzeption der GRIMMWELT hat sich ihre Struktur von den Grimms selbst abgeschaut: Angelehnt an die alphabetische Ordnung des Deutschen Wörterbuchs von Jacob und Wilhelm Grimm ist die GRIMMWELT als Glossar von A bis Z angelegt: 25 Wörterbucheinträge (Lemmata, wie sie im Fachjargon genannt werden), für jeden Buchstaben des Alphabets einen, ordnen den Stoff und gliedern die Ausstellung. Die Arbeit der Brüder mit und an der Sprache erfahrbar zu machen, ist ein zentrales Anliegen der GRIMMWELT. “Dies wird an den Kinder- und Hausmärchen besonders augenfällig. Sie haben sich in die ganze Welt ausgedehnt, die kollektiven und individuellen Einbildungskräfte sind längst von ihren Stoffen und Motiven durchdrungen. Schließlich bietet die Herangehensweise des Glossars die Möglichkeit, immer wieder die Perspektive und den Blickwinkel zu verändern. Zu diesen Perspektiven gehört ganz wesentlich - neben einer wissenschaftsgeschichtlichen, historischen, künstlerischen, interdisziplinären und intermedialen - eine kindliche, die das Unscheinbare und Nebensächliche zum Gegenstand intensiver Betrachtung erhoben hat. Diese Forschungshaltung der Brüder Grimm hat auch das kuratorische Konzept und inspiriert, das zwischen Wissensvermittlung und sinnlicher Erfahrung changiert“, so die Kuratorinnen Annemarie Hürlimann und Nicola Lepp.
Das vielfältige Wirken der Brüder Grimm
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Die Erkundungen beginnen mit dem Grimmschen Werk. Der erste Bereich widmet sich der Welt der Sprache und den Texten der berühmten Brüder. ZETTEL und ORGANISIERUNG behandeln die Produktionsbedingungen des Werkes, das von Herausgaben älterer mittelalterlicher Texte über Jacob Grimms umfassende Forschungen zur deutschen Grammatik und das schier unübersehbare Projekt eines sprachgeschichtlichen Wörterbuchs bis hin zur Sammlung von Mythen, Sagen, Rechtsaltertümern und eben Märchen reicht. Diese Schaffensfülle lässt sich unter BUCH bewundern, der Abteilung, in der neben allen Buchpublikationen und einer Liste aller von ihnen publizierten Aufsätze auch die berühmten Handexemplare der Kinder- und Hausmärchen zu sehen sind. Mit ihnen erfanden die Grimms auch so etwas wie eine neue Literaturgattung, indem insbesondere Wilhelm durch seine umfassenden Eingriffe und Bearbeitungen von älteren schriftlichen Quellen und mündlich erzählten Texten aus VOLKSMÄRCHEN Kinder- und Hausmärchen machte. Die Bereiche SPRACHBAUWERK, ÄRSCHLEIN, WORTARBEIT und TREPPE gehen mit künstlerischen und performativen Installationen jeweils auf ihre Art der Grimmschen Arbeit mit und an der Sprache nach. Und dass schon bei den Grimms ein Urheberrechtsstreit die Gemüter erhitzte, verrät XY (ungelöst) - das Kuckucksei im Glossar, das dem Mangel an mit X oder Y beginnenden Wörtern im Deutschen und daher auch im Deutschen Wörterbuch geschuldet ist.
Schimpfworttrichter
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Zettelarchiv der Brüder Grimm
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Deutsches Wörterbuch (Installation Ecke Bonk)
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Wurzeln (Ai Wei Wei)
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Im Übergang zum nächsten Ausstellungsbereich wirft die Arbeit des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der für die GRIMMWELT HOLZWURZELN aus China gebracht hat, Fragen nach dem Ursprungs- und Wurzeldenken der Brüder Grimm auf. Im zweiten Teil setzt die Ausstellung die Bilder und Imaginationen in Szene, welche das Werk der Grimms, allen voran die Kinder- und Hausmärchen hervorgebracht haben. In diesem Bereich setzt die Ausstellung weniger auf das historische Exponat, als auf künstlerische und mediale Adaptionen des Grimmschen Werkes. Die Märchen wurden von den Grimms nicht nur gesammelt und weiterbearbeitet, sondern als Vorlesestoff für die Kinder in der bürgerlichen Familie empfohlen. Eines dieser Märchen, Rumpelstilzchen, wird in im Bereich ERZÄHLENHÖREN in sechskanaligen Videoinstallation von Sprechern in 28 Sprachen erzählt. In der DORNENHECKE können Kinder und kindliche Erwachsene mit dem Spiegel sprechen, sich zu den sieben Zwergen an den Tisch setzen, mit der Hexe parlieren oder sich von der Großmutter alias dem Wolf fressen lassen, umgeben von lauter märchenhaften KLEINWESEN, die die beiden Künstler Lutz & Guggisberg aus einem aufgeschlitzten Gehäuse quillen lassen. ILLUMINIEREN hat aus den seit mehr als hundert Jahren in unzählige Filme transformierten Texten einen neuen Film und eine neue Geschichte gesponnen.
Aus dem Leben der Grimms
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Und vom GLÜCK im Märchen erzählen Interviews des Filmemachers Alexander Kluge. Diesem performativen und installativen Bereich der Ausstellung folgt der dritte und letzte, der dem Leben der Brüder Grimm gilt. Er beginnt mit LEBENSLÄUFER. Der Bereich erzählt das Leben der berühmten Brüder in ihren eigenen Worten anhand verschiedener autobiografischer Texte, die sie in ihrem Leben verfasst haben. Die Lebensgeschichte ist eng verbunden mit der besonderen Konstellation der Familie Grimm, die wenig gemein hat mit dem zeitgenössischen Ideal der biedermeierlichen Kleinfamilie aus starkem Vater, liebender Mutter und unschuldigem Kind. Der MUTTER gilt ein eigener kleiner Ausstellungsbereich. Und dafür, dass Lebenswege nicht immer geradlinig verlaufen, steht ROTKAPPE. Von Wilhelm Grimms Hochzeit mit Dorothea Wild erzählt mit JAWORT die Reinszenierung eines zeitgenössischen Possentheaterstücks als Puppenspiel, und vom Essen in der Familie und Dorothea Grimms Koch- und Haushaltungskünsten handelt QUITTE. Ihres Lebens längste Zeit haben die Grimms in CASSEL verbracht. Hier hat der Bruder und Künstler Ludwig Emil Grimm zahlreiche Szenen in comicartigen Zeichnungen und Skizzen festgehalten oder erdichtet - oder irgendetwas dazwischen.
Besteck mit Signatur "JG"
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Hinterlassen haben die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm aus ihrem Leben schließlich mindestens zweierlei: Zunächst Realien in Form ihres NACHLASZes von Schriften und Gegenständen aus dem alltäglichen Lebenszusammenhang. Einiges davon hat sich heute in der GRIMMWELT eingefunden und wird - als Erinnerung an die schwierige Grenzziehung zwischen Realität und Einbildungskraft - von einer unsinnigen Welt der häuslichen UNDINGE aus den Märchen attackiert: Besen und Schippe, die sich prügeln, bedrohlichen Messern und sprechenden Spiegeln. Und das ist eine zweite Hinterlassenschaft der Brüder Grimm: das umfassende Wissen um die Vergangenheit und die mit diesem Wissen in die Welt und die Gegenwart gekommenen Vorstellungen, Bilder und Träume, die bis heute die unauflösliche Verbindung von Wissen und Fantasie, Erkenntnis und Einbildungskraft behaupten. Mit diesen PHANTASIEGESTALTEN schließt der Rundgang.
Doppeldeutig
Quelle: heldmann.photography
Die Ausstellungsregie: In-der-Sprache-Sein Die Ausstellung nähert sich der Welt der berühmten Brüder nicht nur aus unterschiedlichen inhaltlichen Perspektiven, sondern auch in verschiedenen ausstellerischen Formaten. Der Argumentation mit historischen Objekten und Autografen treten performative Stationen und mediale und künstlerische Installationen zur Seite, die bis auf die Arbeiten von Ai Weiwei und Ecke Bonk eigens für die GRIMMWELT produziert wurden. Zwischen Faktischem und Fiktionalem bewegen sich auch die anderen Ausstellungsformate - von Reportage oder Interview bis hin zum Puppen- und Theaterspiel. Damit knüpft die Ausstellung wiederum an das romantische Erbe der Brüder Grimm an, die zumindest mit den Kinder- und Hausmärchen dem Wunderbaren, das die Aufklärung in den Bereich des Aberwitzigen und Irrationalen verbannt hatte, seinen “Sitz im Leben“, wie Jacob Grimm sich ausdrückte, zurückerobern wollten. Diese Brechung des Realen ins Fantastische wird ebenso spürbar in den Sprachforschungen vor allem Jacob Grimms. Mit der Buchstäblichkeit und Wörtlichkeit der etymologischen Verfahrensweisen im Deutschen Wörterbuch rückt auch die nichtbegriffliche Seite der Sprache in den Blick. Die Ausstellung nimmt dies zum Ausgangspunkt, um den Blick für die konkrete Materialität der Sprache zu schärfen. Nicht nur über die Forschungen der Brüder Grimm soll etwas vermittelt werden, sondern das In-der-Sprache-Sein erfahrbar werden. Die Ausstellung stellt einen Raum zur Verfügung, in dem Erfahrungen mit und in der Sprache gemacht werden können - ihrer Lautlichkeit und ihrem Klang, ihrer Vieldeutigkeit und ihrer unendlichen kreativen Kombinatorik.
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