Politik
GDL-Streik bei der Bahn - Deutschland lahmgelegt?
Ein Selbstversuch
Alle Signale bei der Bahn auf rot (Quelle: heldmann.photography)
Die GDL streikt, die Politik warnt vor wirtschaftlichen Verlusten, die Medien beschwören entweder das hohe Gut des Streikrechts oder verurteilen die GDL wegen ihrer Kompromisslosigkeit und die Bahnkunden fluchen. Aber wie ist es wirklich, wenn man in diesen Tagen darauf angewiesen ist, mit der Bahn in Deutschland zu reisen? Ist der Verkehr weit gehend lahmgelegt? Oder funktioniert der Notfahrplan? Wir wollten es wissen und haben es ausprobiert.
Der erste Eindruck beim Erreichen des Bahnhofs in Kassel-Wilhelmshöhe: Die GDL zeigt Flagge. Das war nicht bei allen ihren Streiks so. Und noch bevor wir das Bahnhofsgebäude betreten, kommt uns eine ganze Gruppe von Gewerkschaftsmitgliedern entgegen, die an diesem feucht-warmen Tag unter ihren Plastikwesten mit Gewerkschaftsaufdruck sicherlich allein schon ordentlich schwitzen. Doch freundlich sind sie bereit, für ein Foto die schon abgestreiften “Tüten“ noch einmal überzuziehen. Auf die Frage, ob der Streikposten beendet sei, erhalten wir zur Erklärung: “Nein, wir essen jetzt erst einmal etwas. Und dann erklären wir weiter, warum wir streiken.“ Dabei dürften sie dann erneut ins Schwitzen kommen.
Derweil stellen wir fest, dass die im Internet gemachten Ankündigungen, welche ICE trotz des Streiks fahren, dieses Mal tatsächlich stimmen. Das war beim letzten Mal noch anders. Laut Fahrplan-App verkehrende Züge waren vor zwei Wochen auf der Anzeigetafel im Bahnhof doch gecancelt. Der ICE nach München hat zwar wegen einer streikenden Signalanlage 25 Minuten Verspätung, doch das ist für Bahnreisende Normalität und nicht Schuld der Gewerkschaft. Unser Zug nach Zürich über Frankfurt ist sogar nach Zeitrechnung der Bahn pünktlich mit seinen fünf Minuten Verzögerung. Während wir auf dem ziemlich leeren Bahnsteig warten, fährt einige Gleise weiter ein Güterzug durch, dem gleich darauf ein zweiter folgt. Das lässt ja hoffen für die Volkswirtschaft. Dann kommt der ICE aus der Gegenrichtung an, gleich darauf auch unser Zug.
Die bange Frage, “Muss ich womöglich bis Frankfurt im Gang stehen?“, beantwortet sich schnell. Der Zug ist höchstens zur Hälfte besetzt. Offensichtlich haben die Kunden der Bahn den Ankündigungen doch nicht so richtig getraut. Nachdem die Türen zu sind, ist es wie immer. Fahrscheinkontrolle, Speise- und Getränkeangebot und eine defekte Toilette - so wie man es gewohnt ist. Und auch die Mitreisenden verhalten sich nicht anders als sonst, der Streik ist jedenfalls kein Thema.
In Frankfurt auf dem Hauptbahnhof ist deutlich mehr Gewimmel als in Kassel, aber es wirkt auch hier ruhiger als sonst. Ganz anders auf der Südseite des Bahnhofs, wo die - zumeist grünen - Fernbusse in dichtem Takt vor- und abfahren, überwiegend gut besetzt. Und anders als in Kassel ist hier, am Sitz der Gewerkschaft, von der GDL nichts zu sehen, keine Fahnen, keine Streikposten. Stattdessen wird vor “organisierten Bettelbanden“ per Durchsage gewarnt; es hat sich wohl noch nicht überall herumgesprochen, dass die Bahn bestreikt wird. Der einzig sichtbare Hinweis darauf steht auf der Anzeigetafel.
Und auch die Rückfahrt klappt. Der aus der Bahn-App ausgeguckte ICE kommt, wieder fünf Minuten später und in umgekehrter Wagenreihung, auch hier alles wie immer bei der Bahn. Auf der wohl doch freieren Strecke hat er die Verspätung bis Kassel wettgemacht, statt, wie sonst gerne “wegen hohen Verkehrsaufkommen“ noch Verspätung draufzusatteln. Warum es in den deutlich weniger fahrenden Zügen trotzdem eher leerer als sonst ist, hören wir, als wir im Auto vom Bahnhof nach Hause fahren: Die Staumeldungen dauern mehrere Minuten. Offensichtlich ist es auch in diesen Streiktagen nicht unbedingt die bessere Alternative, das Auto zu nehmen. Trotzdem bleibt die Hoffnung, dass die Züge ab nächster Woche wieder alle und zu allen Zeiten fahren.
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