Politik
Kagida - AfD übt Schulterschluss mit Pegida-Klon in Kassel
500 demonstrieren gegen Rassismus
Massives Polizeiaufgebot bei "Kagida" (Quelle: vista-images)
GDN -
Zum zweiten Mal fand am Montagabend in Kassel eine “Kagida“-Kundgebung statt. Während dort rund 80 Menschen unter anderem dem Kasseler Sprecher der “Alternative für Deutschland“ zuhörten, demonstrierten auf der anderen Platzseite rund 500 für eine weltoffenen Documentastadt Kassel.
Auch mit größter Anstrengung wird es nicht gelingen, in Kassel Anzeichen für die bevorstehende “Islamisierung des Abendlandes“ zu entdecken. Weder wird der besorgte Nordhesse permanent durch verhüllte Burkaträgerinnen noch durch langbärtige, Hochwasserhosen tragende islamistische Kämpfer erschreckt. Auch heißt der Märchenweihnachtsmarkt immer noch so. Auch wenn der Organisator des obskuren Bündnisses “Kasseler gegen die Islamisierung des Abendlandes - Kagida“, Michael Viehmann, das Abendland schon bedroht sieht, wenn in einem Kasseler Stadtteil ein “Weihnachtlicher Wintermarkt“ veranstaltet wird. Aber wer eine Flagge, die im Rahmen einer Kunstausstellung auf dem Fridericianum wehte, allein schon deswegen für die Kampfflagge des “Islamischen Staates“ hält, weil sie ein altpersisches Schriftzeichen auf schwarzem Hintergrund zeigt, lässt sich auch sonst wohl in seiner Wahrnehmung der Welt von realen Fakten kaum irritieren. Rund Achtzig, so die offizielle Polizeischätzung, dieser Melange aus Wut-(oder Angst-)bürgern, Neonazis (gut an ihrem Outfit zu identifizieren), AfL und Verschwörungstheoretikern haben sich am Montagabend zum zweiten Mal versammelt, um sich gegenseitig zu beklatschen.
Während bei der ersten Kundgebung zwei stellvertretende Landesvorsitzende der NPD und der Kasseler Sprecher der “Alternative für Deutschland“, Manfred Mattis, einträchtig unter den Zuhörern von Michael Viehmann und einem anonym gebliebenen “Holländer“ standen, war Mattis bei der zweiten Veranstaltung der Hauptredner. Der, wie er selbst mehrfach betonte, als sei es ein Qualitätssigel, Jurist aus Kassel entblödete sich dabei nicht, die abstruse Sicht Viehmanns auf die Welt zu unterstreichen. Dabei gerierte er sich als eigentlichen Erfinder von “Kagida“, den er habe schon vor vielen Jahren montags Kundgebungen gegen den Euro durchgeführt. Die haben damals allerdings kaum jemanden interessiert und waren auch nicht sonderlich erfolgreich, ein Schicksal, dass die 500 auf der anderen Seite des Scheidemann Platzes den aktuellen Kundgebungen lautstark ebenso wünschten. Aber es ist schon auffällig, dass die AfD inzwischen die Maske der Biedermannpartei bedenkenlos fallen lässt. In Sachsen verteidigt die stellvertretende Vorsitzende der Partei, Frauke Petry, die islamophoben und ausländerfeindliche Pegida, in Düsseldorf meldet ein AfD-Funktionär, Alexander Heumann, die “Dügida“-Veranstaltung an und in Kassel redet ein weiterer Spitzenfunktionär der AfD auf der Kundgebung.
Bemerkenswert ist auch, dass jemand, der offensichtlich seit Jahren die in diesem Land verbürgte Meinungsfreiheit extensiv nutzt, um seine politischen Ansichten zu verbreiten, auf der Kundgebung meint, genau diese Meinungsfreiheit einfordern zu müssen. Aber da befindet er sich ja in guter Gesellschaft mit seinem Landesvorsitzenden Konrad Adam, der in einer Pressemeldung zu “Pegida“ erklärt: “Denn die jahrzehntelange Gängelei durch Medien und Altparteien hat dazu geführt, dass sich der Wunsch, gegen die Bevormundung im öffentlichen Raum aufzubegehren, in sonderbaren Formen äußert. Als Bürgerbewegung, die wir unserem Ursprung nach sind, haben wir volles Verständnis für alle, die mit dem Versprechen von Demokratie, Teilhabe und Mitbestimmung ernst machen wollen. “ Nicht zu diesen “Altparteien“ gehören wohl “Die Republikaner“, denn mit Peter Münch steht ein ehemaliger Funktionär dieser rechtsextremen Partei gemeinsam mit Adam an der Spitze des hessischen Landesverbandes der AfD.
Nicht überliefert ist, wie der Jurist Mattis den dritten Redner dieses Abends bewertete. Victor Seibel ist in Kassel ähnlich bekannt wie Mattis. Er veranstaltet seit Wochen so genannte Mahnwachen, wo er seine kruden Verschwörungstheorien vor durchschnittlich einem halben Dutzend Zuhörern verbreitet. Offensichtlich inspiriert durch Menschen wie Jürgen Elsässer, Ken Jebsen oder Ulf Ulfkotte hetzt auch er gegen die “gleichgeschalteten Medien in Deutschland“, gegen die Politiker und erkennt “die Besatzungsmächte als unseren gemeinsamen Feind“. Der, so hat ihn Viehmann angekündigt, “Freund aus der Friedensbewegung“ empfiehlt Russland als Vorbild zu nehmen. Die Erfolge der “russischen Friedensbewegung“ kann man ja seit Jahren in Tschetschenien und neuerdings in der Ostukraine bewundern. Und ein Musterland der Demokratie ist Russland ohnehin, da gibt es, ganz anders als im Deutschland der Herren Viehmann, Mattis oder Seibel, Meinungsfreiheit und keine gleichgeschaltete Mainstreampresse. Aber auch Seibel bekommt, wie seine Vorredner, Beifall.
Mit der Pressefreiheit, immerhin Teil der verfassungsmäßigen Meinungsfreiheit, hat Herr Mattis es ohnehin nicht so. Bei einer öffentlichen Wahlkampfveranstaltung seiner Partei mit Herrn Lucke wollte er anwesenden Pressefotografen verbieten, Bilder zu machen. Auch das eine Parallele zu “Kagida“, wo Ordner versuchten, Pressevertretern den Zutritt zum Kundgebungsplatz zu verweigern. In beiden Fällen konnte sich allerdings die Pressefreiheit über die Zensurversuche obsiegen. Immerhin zeigt dieses Verhalten, welche “Werte des Abendlandes“ zum Repertoire von “Kagida“ und Co. zählen.
Inzwischen haben die Herren Mattis und Heumann für ihre Auftritte auch den Segen ihrer Parteispitze. Wie die Süddeutsche Zeitung heute berichtet, hat nach Frau Petry nun auch Bernd Lucke "Pegida" und dessen wie Unkraut wuchernden Ablegern seinen Segen gegeben. Die SZ schreibt dazu: "Am Dienstag bezeichnete Lucke die Demonstrationen nun als . Sie seien ein Zeichen dafür, Lucke sprach von einem Ansporn für alle Politiker, entschlossener als bislang zu handeln, wenn der politische Islamismus unseren Rechtsstaat herausfordere und infrage stelle."
Dieses Mal hatte die Polizei ihre Strategie verändert. Während es bei der ersten Kundgebung noch einige der “Kagida“-Gegner geschafft hatten, sich mit Transparent und Trillerpfeifen an den Gittern zu postieren, sorgte die Polizei durch dicht an dicht gestaffelte Autos für eine (fast) undurchdringliche Barriere, die nur nach Kontrolle von ausgewiesenen Pressevertretern passiert werden konnte. “Fast“ deswegen, weil etwas überraschend Victor Seibel und ein Begleiter ganz ungehindert die Polizeisperre zwischen beiden Kundgebungsplätzen passieren und in Richtung der Gegenkundgebung laufen konnte. Beim abschließend, als “Spaziergang“ angekündigten Demonstrationsmarsch von “Kagida“ sorgte die Polizei durch energischen Einsatz dafür, dass der Versuch einer kleinen Gruppe der “Antifaschisten“, den Weg durch eine Sitzblockade zu versperren, schnell vereitelt wurde. So konnten die verbliebenen Ausländer- und Islamgegner ihren gespenstischen Aufmarsch einmal um den Block einigermaßen ungestört durchführen.
Als Fazit bleibt festzustellen, dass es auch in der Documentastadt Kassel neben denen aus der rechtsextremen Szene weitere Menschen gibt, die auch an einem kalten Montagabend nichts Besseres zu tun haben, als den islamophoben Fantasien und Verschwörungstheorien einiger Selbstdarsteller zuzuhören und dann auch noch zu meinen, sie wären “das Volk“. Beruhigend ist allerdings, dass die Zahl derjenigen, die sich für Religionsfreiheit, Toleranz, Respekt und eine weltoffene Stadt einsetzen, nach wie vor ungleich größer ist. Da Viehmann inzwischen die dritte Kundgebung angekündigt hat, werden wohl auch am nächsten Montagabend wieder Gewerkschaften, Kirchen, demokratische Parteien und andere aus dem “Bündnis gegen Rechts“ zur Stelle sein, dann vermutlich allerdings an einem anderen Ort in Kassel, denn für den Scheidemannplatz hat ausgerechnet die Gewerkschaft der Polizei schon seit Wochen für den kommenden Montagabend eine Kundgebung angemeldet.
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