Kultur

Erste Retrospektive des Werks von Paul Sharits im Fridericianum

Eric Baudelaire - Framework


Erste Retrospektive Paul Sharits (Quelle: heldmann.photography)
Christopher Sharits vor einem Werk seines Vaters
(Quelle: heldmann.photography)
GDN - Mit einer Doppelausstellung würdigt das Fridericianum in Kassel das Werk zweier Filmkünstler. Erstmals wird in einer Retrospektive das Lebenswerk des US-Künstlers Paul Sharits gewürdigt. Ergänzt wird die an diesem Wochenende eröffnete Ausstellung mit Werken von Eric Baudelaire.
Vier synchronisierte 16 mm-Filme
Quelle: heldmann.photography
Aus exakt komponierten 16-mm-Filmen schuf der US-amerikanische Experimentalfilmer Paul Sharits (1943-1993) einzigartige Filmräume, die in ihrer Komplexität und Dichte einmalig in der Kunstgeschichte sind. Seine Installationen aus Mehrfachprojektionen (locational film pieces) lassen Film nicht nur zu einer visuellen, sondern auch zu einer körperlichen Erfahrung werden. Akribisch arrangierte Farbkompositionen (Shutter Interface, 1975), irreführende Film-im-Film-Darstellungen (3rd Degree, 1982) sowie von drastischen Motiven durchschossene Abstraktionen (Epileptic Seizure Comparison, 1976) bilden die Grundlage seines Nachdenkens über die Funktionen und Bedingungen des Mediums Film. Sharits vereint in seinem Werk eine die Sinne durchdringende Intensität gekonnt mit Reflexionen über die filmische Illusion und die Mechanismen des Sehens.
Skizze von Paul Sharits
Quelle: heldmann.photography
Ganz auf seine Grundbestandteile reduziert, lässt Sharits in seinen Frozen Film Frames den Film schwebend zur Skulptur gefrieren: Zwischen hängende Plexiglasscheiben sind dicht an dicht liegende Filmstreifen montiert, deren Abfolge sowohl vertikal als auch horizontal betrachtet werden kann. Sharits führt den Film auf seine Grundbestandteile Zelluloid und Licht zurück und entzieht ihm gleichsam seine Grundbedingungen Zeit und Bewegung. Analog zu seinen filmischen Arbeiten setzt er sich auch in zahlreichen grafischen Partituren intensiv mit analytischen wie rhythmischen Farbkompositionen auseinander. Mit seinen aus Millimeterpapier und Filzstift gefertigten Diptychen und Serien stellt er den Filmen Studien beiseite und erschafft zugleich eine ganz eigene Notation des Films. Anfang der 1980er Jahre wendet sich Sharits in seinem künstlerischen Schaffen wieder verstärkt seinen Ursprüngen in der Malerei zu. Auch hier stehen für ihn die Funktion und die Bedingungen des Mediums im Vordergrund und abstrakte Kompositionen finden sich im Wechsel mit drastischen gegenständlichen Darstellungen.
Großformatige Bilder Paul Sharits´
Quelle: heldmann.photography
Die von Susanne Pfeffer kuratierte Retrospektive von Paul Sharits vereint erstmals vier Filmräume (locational film pieces) in einer Ausstellung. Neben einfachen Filmprojektionen, diversen Frozen Film Frames und zahlreichen Zeichnungen werden auch das malerische Spätwerk sowie viele noch nie präsentierte Arbeiten gezeigt. Das Fridericianum widmet Paul Sharits die weltweit erste umfassende Retrospektive. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König. Neben Beiträgen von Paul Chan, Tony Conrad, Birgit Hein, Bruce Jenkins, Branden W. Joseph, Helen Marten, Jonas Mekas, Susanne Pfeffer und Melissa Ragona enthält die Publikation Schriften und zum Teil unveröffentlichte filmtheoretische Essays von Paul Sharits sowie ein umfangreiches Werkverzeichnis.
Eri Baudelaires Installation im Fridericianum
Quelle: heldmann.photography
Die Filme, Fotografien und Installationen von Eric Baudelaire (* 1973) inspizieren die Rahmenbedingungen von Geschichtsschreibung. Wie formen die Produktionsprozesse, die einem Filmbild, einer Geschichte, einem Porträt oder einem Dokument zugrunde liegen, die Realität, die sie darstellen? In Baudelaires Arbeiten werden die versteckten Fundamente der Medien, Dokumentvorlagen und Ideologien, mit denen wir Geschichte, Gegenwart und Zukunft konstruieren, in Bewegung versetzt und selbst Teil des Bildes. Dabei entstehen fiktive Dokumentationen und dokumentarische Fiktionen: Ein Dokument verwandelt sich in ein gerahmtes Bild, eine Filmimprovisation kollidiert mit ihrem ausgestellten Drehbuch, ein dokumentarisches Filmporträt zeigt keine Porträtbilder der Porträtierten, ein analytisches Diagramm wird zu einem Tapetenornament.
Nina Tabassomi erläutert die Arbeiten Baudelaires
Quelle: heldmann.photography
Baudelaires erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland, kuratiert von Nina Tabassomi, zeigt drei Kapitel von Arbeiten, die sich mit den Beziehungen der Japanischen Nouvelle Vague und der Japanischen Roten Armee, zwischen Tokio und Beirut, revolutionärem Filmschaffen und terroristischem bewaffnetem Kampf auseinandersetzen. In Zusam- menarbeit mit Masao Adachi - einem Protagonisten der japanischen Avantgarde-Filmbewegung und ehemaligen Ideologen der Japanischen Roten Armee - hat Baudelaire zwei Filme realisiert, die den Verstrickungen von militanter Politik und Ästhetik nachgehen: Die Anabasis von May and Fusako Shigenobu, Masao Adachi und 27 Jahre ohne Bilder (2011) und The Ugly One (2013).
Sozialwissenschaftliche Grafiken zum Terrorismus
Quelle: heldmann.photography
Mit FRMAWREOK FAMREWROK FRMAEOWRK FOMARERWK schafft Baudelaire ein neues Kapitel zu den Arbeiten und ihren Installationen, eine Ebene, die den Ursprung seines Interesses an diesen Fragestellungen buchstäblich in den Vordergrund rückt. Auf über 200 Meter langen Tapetenbahnen präsentiert der Künstler und Politologe seine enorme Sammlung sozialwissenschaftlicher Grafiken und Tabellen, die das schwer fassbare Phänomen des Terrorismus zu ergründen suchen. Diesen Bilderfundus lässt Baudelaire auf seine mit anderen Mitteln aber ähnlichem Ziel produzierte künstlerische Bildwelt treffen. Weitere Fotos aus der Doppelausstellung finden Sie unter "Fotogalerie".
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